Der Datenschutz, heißt es, die-
ne dem Schutz vor Beeinträch-

tigungen des Persönlichkeitsrechts.
Aber warum ent­hielt dann das erste
Landesdatenschutzgesetz von Hes-

sen Regelungen zum Infor­mationsverhält-
nis zwi­schen Par­lament und Regierung?


Im Gutachten »Grundfragen des Datenschutzes« von 1971 wurde die Privatsphäre – wie die ganze Sphärentheorie – als Bezugspunkt für die rechtliche Regelung des Datenschutzes explizit als untauglich verworfen. Aber warum wird die Privatsphäre in der aktuellen Diskussion dann wieder so in den Mittelpunkt gestellt? Privacy sei das »right to be let alone« – das Recht, allein gelassen zu werden. Aber warum galt es denn dann in den sechziger Jahren als ausgemacht, dass Individuen sich auch in der Öffentlichkeit auf ihr Recht auf Privacy berufen können?
Geschichte und Theorie des Datenschutzes
15.–16. Februar 2013
(14–19 Uhr und 9–14 Uhr)
Humboldt-Universität zu Berlin
Helmholtz-Saal
Unter den Linden 6
Die Datenschutzdiskussion der vergangenen Jahre entspricht strukturell und thematisch den Diskussionen der sechziger und siebziger Jahre: Heute wie damals geht es um Informationsexplosion, Datenintegration und intra- und internationalen Informationsaustausch. An die Stelle staatlicher Planungsinformationssysteme als prototypischer Risikotechnologie ist heute das Internet getreten, Facebook und Google haben die Kreditauskunfteien als herausstechendste Gefährder im privaten Bereich ersetzt. Die Datenspeicherungs- und Datenverarbeitungskapazitäten sind um Größenordnungen gewachsen und der Grad der Automatisierbarkeit und der Automation der Datenverarbeitung hat drastisch zugenommen – die gesellschaftlichen Informationsverarbeitungsfähigkeiten wurden dabei mitgerissen. Und immer noch – oder schon wieder – gibt es Stimmen, die den Datenschutz für überholt halten. Vor allem aber steigt die Zahl der Unwissenden, die sich zum Thema meinen äußern zu müssen: Dass sich der datenschutzrechtliche Begriff »Datum« auf Informationen im Sinne der Semiotik bezieht – vergessen oder nie gewusst? Dass selbst der »Individualdatenschutz« nicht nur individualistisch, sondern auch mit Hilfe Luhmanns soziologischer Systemtheorie, die auf die Funktionen und Strukturen von Sozialsystemen abstellt, erklärt wurde – vergessen oder nie ge­wusst? Dass die prozessorientierte Beschreibung der Informationsverarbeitung in Organisationen, die zur Grundlage der rechtlichen Regulierung gemacht wurde, Anfang der siebziger Jahre dem Stand der Wissenschaft – der Kybernetik, also auch einer Systemtheorie – entsprach – ver­gessen oder nie gewusst? Dass »Privacy by Design« keineswegs neu ist, sondern schon Ende der sechziger Jahre als selbstverständliche technische Anforderung an datenverarbeitende Systeme galt – vergessen oder nie gewusst? Kurz: Der aktuellen Datenschutzdiskussion fehlt es sowohl an historischem Bewusstsein wie an theoriegestützter Analysefähigkeit.
Programmkommittee:
Jörg Pohle (Humboldt-Universität)
Martin Rost (ULD Schleswig-Holstein)
Stefan Ullrich (Humboldt-Universität)
Termine:
17.09.2012: Call for Papers 02.12.2012: Einreichung der Skizzen 16.12.2012: Acceptance Notification 20.01.2013: Einreichung der Texte 03.02.2013: Anmeldeschluss (mit Reader) 04.02.2013: Verschickung der Reader 10.02.2013: Anmeldeschluss (ohne Reader)
Im Workshop sollen Geschichte und Theorie von Privacy und Datenschutz (neu) ermittelt und vermittelt werden. Dabei geht es insbesondere darum, die Begriffe und ihre Bedeutung von den inhaltlichen Entstellungen der letzten Jahre und Jahrzehnte zu befreien. Wenn Datenschutz Anfang der siebziger Jahre die Lösung gewesen sein soll, was war dann das Problem? Hat sich die Problemlage, oder genauer formuliert: die Konfliktsituation, strukturell geändert? Welche Sprachen oder Theorien sind geeignet, das gesellschaftliche Problem, zu dem der Datenschutz als Lösung angetreten ist, auf dem Stand der Wissenschaft zu beschreiben? Welche expliziten und impliziten Annahmen liegen der Problembeschreibung und der Architektur des Datenschutzrechts zugrunde und welche davon sind heute noch haltbar? Welcher Architektur bedürfen Datenschutz und Datenschutzrecht im 21. Jahrhundert? Stehen neue Instrumente zur Verfügung, die einen kontrollierten Transfer zwischen Sollen und Sein, Sein und Sollen möglich machen?
Geschichte und Theorie
Architektur
Wir freuen uns auf die Einreichung Ihrer Texte zu einem oder mehreren der folgenden oder verwandter Bereiche:
  • Geschichte des Datenschutzes und des Datenschutzrechts sowie der damit einhergegangenen Diskussionen
  • Beschreibung und Einordnung der gesellschaftlichen Problemstellung, zu deren Lösung der Datenschutz angetreten ist oder antreten soll
  • Gesellschaftliche und gesellschaftstheoretische Grundlagen des Datenschutzes
  • Explizite und implizite Prämissen, die der Problembeschreibung und der rechtlichen Ausgestaltung des Datenschutzes zugrunde liegen
  • Architektonische Grundentscheidungen der Gestaltung des Datenschutzrechts und deren theoretische Hintergründe
  • Instrumente des Datenschutzes und ihre Eignung in der Praxis
Skizze: nicht mehr als 3.000 Zeichen
Text: nicht mehr als 30.000 Zeichen
Bitte schicken Sie uns eine Skizze Ihres Beitrags mit einem Umfang von ein bis zwei Seiten bis spätestens 02.12.2012.
02.12.2012: Deadline für die Skizzen
Teilnehmerinnen und Teilnehmer:
  • Kirsten Bock (ULD): »Instrumente des Datenschutzes und ihre Eignung in der Praxis — Zur Ungeeignetheit von Selbstregulierung im Datenschutzbereich«
  • Prof. Dr. Wolfgang Coy (HU Berlin)
  • Dr. Alexander Dix, LL.M. (BlnBfDI): »Datenschutz und Informationsfreiheit als Teil der Informationsökologie des 21. Jahrhunderts«
  • Dr. Seda Gürses (KU Leuven): zu Privacy-Forschungsparadigmen in der Informatik
  • Marit Hansen (ULD): »Hemmnisse für Privacy by Design«
  • Dr. Joris van Hoboken (Universiteit Amsterdam)
  • Nils Leopold, LL.M. (Mitarbeiter, MdB von Notz)
  • PD Dr. Kai von Lewinski (HU Berlin): »Zufall und Notwendigkeit bei der Entstehung des Datenschutzrechts — Was sagt die kontrafaktische Geschichtsschreibung zum BDSG?«
  • Ricardo Morte Ferrer (ULD)
  • Michael Plöse (HU Berlin)
  • Jörg Pohle (HU Berlin): »Kausalitäten, Korrelationen und Datenschutzrecht«
  • Martin Rost (ULD): »Neun Thesen zum Datenschutz«
  • Wolfgang Zimmermann: »Privatsphäre. — Aufruf zur Konstruktion einer realitätsbezogenen Bildwelt.«
Teilnehmerinnen und Teilnehmer
(mit Titel der Skizzen)
Angefragt:
  • Prof. Dr. Andreas Busch (Uni Göttingen) (aus Zeitgründen abgesagt)
  • Prof. Dr. Martin Eifert, LL.M. (HU Berlin) (aus Zeitgründen abgesagt)
  • Prof. Dr. Anna-Bettina Kaiser, LL.M. (HU Berlin)
  • Dr. Moritz Karg (HmbBfDI) (aus Zeitgründen abgesagt)
  • Prof. Dr. Berndt Lutterbeck
  • Paul J. Müller
  • Dr. Konstantin von Notz (MdB) (aus Zeitgründen abgesagt)
  • Prof. Dr. Dr. Adalbert Podlech
  • Prof. Dr. Spiros Simitis
  • Prof. Dr. Wilhelm Steinmüller
  • Dr. Thilo Weichert (ULD)
Anfragen
Jörg Pohle, Andrea Knaut (Hrsg.)
Fundationes I: Geschichte und Theorie des Datenschutzes
Münster: Monsenstein und Vannerdat, Paperback, 302 Seiten, 978-3-95645-184-3, 16.05.2014
neugesetzt als E-Book (EPUB)
Tagungsband